Mit einem Buch über ihre Krebserkrankung hat Myriam von M. viele Menschen bewegt. Jetzt hat sie das Pop-Album „Borderline“ aufgenommen.
Von Johannes Breckner
Redaktionsleiter Bergsträßer Echo
Die bunte Frau singt: Myriam von M. hat die CD „Borderline“ aufgenommen.
(Foto: NoCut Entertainment)
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DARMSTADT - Bei RTL 2 auftreten? Um keinen Preis. Myriam von M. (42) kannte Sendungen wie „Frauentausch“ und hielt nichts davon. Aber die Produktionsfirma ließ nicht locker mit ihren Anfragen, und irgendwann sagte Myriam zu. Zu ihren Bedingungen: Nichts wird inszeniert, kein verpasster Augenblick wird nachgedreht, das Drehbuch schreibt alleine das Leben. Aktuell läuft die zweite Staffel von „Voller Leben – Meine letzte Liste“, in der sterbenden Menschen Wünsche erfüllt werden.
Ist es nicht zynisch, aus Not und Tod Unterhaltung zu machen? Myriam von M. schüttelt den Kopf. Sie hat erlebt, dass Patienten glücklich waren, öffentlich ihre Geschichte erzählen zu können. Der finanzielle Nutzen ist auch nicht zu verachten. „Wenn die schon Geld mit uns verdienen, sollen auch die Kranken etwas davon haben.“ Und überhaupt: „Das ist kein Format, das unterhalten soll“, sagt Myriam, „sondern ein Geschenk, das zeigt, wie wertvoll Leben ist.“
Zu Leben und Sterben hat Myriam von M. ein eigenes Verhältnis gewonnen. Mit 25 erkrankte sie an Krebs, der erfolgreichen Therapie folgten Rückschläge, jetzt ist sie gesund. Als sie krank wurde, spürte sie, wie wichtig Hilfe ist. Menschen haben sich abgewandt, über den Tod wollte keiner reden. Die junge Frau aber war entschieden, mit ihrer Krankheit offensiv umzugehen. Sehr offensiv. „Fuck Cancer“ hieß das Buch über ihre Erfahrungen, das zum Bestseller wurde. Kein feiner Titel, gewiss. Aber für Myriam von M. beschreibt er genau das Gefühl bei der Nachricht, Krebs zu haben.
MYRIAM AUF CD
„Borderline“ heißt das Album, das Myriam von M. mit der Band „Átame“ aufgenommen hat, erschienen beim Label NoCut Entertainment.
www.myriam-von-m.de (job)
Das Buch bewegte die Leser, und weil Myriam ein offener bis extrovertierter Typ ist, kamen etliche Kontakte zustande. „Ich wollte der Krankheit einen Sinn geben“, sagt sie. Sie begann, anderen Patienten zu helfen, sammelte Spenden, gründete 2016 in Darmstadt mit ihrem Mann Benny eine gemeinnützige GmbH. Die Diplom-Psychologin mit der auffälligen Haartracht, Piercings und vielen, vielen Tätowierungen nutzte soziale Medien, um andere zu erreichen. „Ich selbst wollte gar nicht im Rampenlicht stehen“, sagt sie heute. Aber für viele andere Menschen war ihr Auftritt eine Botschaft. „Wenn die bunte Frau das auf die Reihe bekommen hat, dann schaffe ich das auch.“
Aktuell betreut ihre Gesellschaft etwa 200 „Schützlinge“, wie sie es nennt. Mit praktischer Unterstützung, mit Geld, mit Beistand. Die Hilfe setzt früher ein als die Hospizarbeit. Sie habe viele tolle Einrichtungen kennengelernt, in denen ein würdevolles Sterben ermöglicht werde. „Aber oft bleibt auch eine Distanz.“
Wer so offensiv für eine Sache auftritt, macht sich nicht nur Freunde. Myriam von M. hat im Internet auch viel Hass erfahren müssen. Vielleicht ist das ein Grund, dass diese Frau über ihre Krebshilfe hinaus noch andere Botschaften hat. Zum Beispiel den Kampf gegen Vereinzelung, gegen den Verlust von menschlicher Kommunikation trotz ständiger Erreichbarkeit. Und gegen Neid, Missgunst, Hass, der die Welt bestimmt. Davon singt sie auf ihrem ersten Album, das sie gemeinsam mit ihrem Mann an der Gitarre eingespielt hat. Abwechslungsreiche Popmusik im Sound der Neunziger, handgemacht und mit wenigen elektronischen Effekten, getragen von einer nicht sehr großen, aber unverwechselbaren Stimme, mit Texten, in denen auch mal von einer Zombie-Apokalypse die Rede ist. Auf dem Musikvideo, das gerade entsteht, gibt es freundlichere Botschaften. Da werden Menschen von Musik angezogen, ein kleiner Bub mit Fußball findet Freunde, die Isolation der Smartphone-Gucker wird aufgebrochen. Auch das ist ein Ziel, für das Myriam von M. einsteht.