Samstag,
11.11.2017 - 00:00
4 min
Freie Theaterszene: Spielflächen außerhalb der etablierten Bühnen sind in Darmstadt nur sehr schwer zu finden

Von Stefan Benz
Kulturredaktion Darmstadt

Neue Bühne, Frankfurter Landstraße 197 in Arheilgen: In ein altes Kino zog 2003 das Theater ein. Laufkundschaft kommt dort allerdings nie vorbei. ( Foto: )
DARMSTADT - Ein Theater hat Darmstadt in diesem Jahr verloren, eines hat die Stadt zurückgewonnen. Das West Side Theatre an der Landwehrstraße ist Geschichte. Die Bühne im Mollerhaus-Kubus hingegen steht nach Sanierung für die vierzig im Verein Freie Szene organisierten Künstler und Gruppen wieder zur Verfügung. Schade für das Projekt im Darmstädter Westen. Schön hingegen, dass es in der Stadt ein nunmehr technisch generalüberholtes Forum für Kleinkunst, Puppenspiel, Performance, Tanz und Schauspiel gibt. Doch wer abseits dieser Plattform freies Theater machen will, hat es weiterhin schwer.
Die Suche nach Räumen geht auf Kosten der Kreativität
Peter und Marijke Jährling hatten seit 2006 viele Spielorte ausprobiert, bevor sie mit ihrer Compagnie Schattenvögel 2011 ins eigene West Side Theater einzogen. Mal hatten sie in einem Teppichlager geprobt, dann im Mollerhaus gespielt, später in der Goldenen Krone. Am Tag einer Premiere flogen sie dort 2009 raus, fanden im Hoffart-Theater Unterschlupf, bis sie in einer ehemaligen Schenck-Kantine unterkamen und dort das Konzept für ihr West Side Theatre mit Schauspiel, Tanz und Konzerten entwickelten. Die Heizkosten waren extrem hoch, die Lage am Rand des Johannesviertels nicht optimal, doch es funktionierte. Man saß dicht an der Bühne. „Wie im englischen Fußballstadion“, sagt Peter Jährling. Das war einmal. Als der Eigentümer starb, wurde ihnen gekündigt. Ihre Hoffnung, in Bessungen auf das Tap-Areal ziehen zu können, zerschlug sich. Der Traum vom eigenen Theater ist geplatzt. „Ich habe innerhalb von Darmstadt alles gesehen und mittlerweile aufgegeben, einen Raum zu finden, wie wir ihn hatten“, sagt Jährling. „Diese ganzen Organisationsfragen fressen ja auch die kreativen Potenziale auf.“
Macht die Kunst Lärm, gibt’s Ärger mit den Nachbarn
Hanno Hener hingegen ist immer auf der Suche nach neuen Bühnen. Doch seine Gruppe Theaterquarantäne braucht keine Heimspielstätte. Er hält Ausschau nach Kunstspielplätzen auf Zeit, gern an Orten, wo zuvor an Theater nicht zu denken war. Theaterquarantäne hat schon im Gefängnis, in Schulen und in der Unterführung gespielt, am Hofgut Oberfeld und im Achteckigen Haus, unterm Dach der Knabenschule, in einer Schenck-Halle. Zuletzt gastierten sie mit dem Sprungturm-Festival im Hoffart-Theater, das mittlerweile zwar zwei Bühnen bietet, aber mitten im Wohngebiet liegt, was bei zu viel Kunstlärm Probleme schafft.
Derzeit sucht das Team von Theaterquarantäne nach Orten im städtischen Off. In Kasernen war nichts zu wollen, aber das Areal Landwehrstraße/Kirschenallee mit vielen Industriebauten lockt. Dort gibt es schon eine Boulderhalle, 2018 soll die „Motorenfabrik“ als Event-Location öffnen, wenn ein Gutachten geklärt hat, wie Publikumsverkehr, der Chemiebetrieb von Evonik nebenan und die Auflagen der Seveso-Richtlinie zusammenpassen. Kurz hinter der Event-Halle liegt ein Industriebau, in dem die Stadt als Mieter des Frankfurter Investors Projecta bis Mitte 2018 zehn Ateliers einrichten will. Dort ließe sich doch Performance und bildende Kunst zusammenbringen, hofft Hanno Hener. So wie in Andy Warhols New Yorker Pop-Art-Factory in den Sechzigern: „Es geht um Gegenpositionen zur Hochkultur, die auch ein junges Publikum anziehen. Das ist eine Herausforderung, da muss man ganz anders rangehen, das erfordert Neugier und Beweglichkeit“, sagt der Regisseur und erhofft sich, „dass die Stadt sowas protegiert.“
DER WEG ZUR NEUEN BÜHNE
„Es war ein absoluter Glücksfall“, erinnert sich Schauspieler Rainer Poser: „Ehemalige Druckerei zu vermieten“, stand 2003 in der Zeitung. Die Theatermacher der Neuen Bühne schauten es sich ohne große Erwartungen an und hatten ihr festes Haus in Arheilgen gefunden.
Was hatten sie zuvor gesucht: Hallen waren meist zu groß und zu teuer, Zelte auf dem Marktplatz und der Lichtwiese keine Dauerlösung. Das Gewächshaus der Orangerie lässt sich (seit 1992) nur im Sommer nutzen. Also spielte die Gruppe im Zentralbad, im Residenzschloss und in der Bahngalerie. Bis sie ihr Haus in Arheilgen fanden. „Es ist schön, ein bisschen zu klein, und es kommt auch keine Laufkundschaft“, sagt Poser.
Doch die zwischenzeitliche Suche nach einer neuen Bühne für die Neue Bühne verlief ergebnislos. Das Theater bleibt in Arheilgen. (sb)
Was hatten sie zuvor gesucht: Hallen waren meist zu groß und zu teuer, Zelte auf dem Marktplatz und der Lichtwiese keine Dauerlösung. Das Gewächshaus der Orangerie lässt sich (seit 1992) nur im Sommer nutzen. Also spielte die Gruppe im Zentralbad, im Residenzschloss und in der Bahngalerie. Bis sie ihr Haus in Arheilgen fanden. „Es ist schön, ein bisschen zu klein, und es kommt auch keine Laufkundschaft“, sagt Poser.
Doch die zwischenzeitliche Suche nach einer neuen Bühne für die Neue Bühne verlief ergebnislos. Das Theater bleibt in Arheilgen. (sb)
Kulturreferent Ludger Hünnekens ist zurückhaltend: „Feste Spielstätten können wir nicht bieten.“ Aber Vermittlung zwischen Künstlern und Investoren wäre drin. Das geplante „Kreativquartier“ mit den Ateliers solle seine „charmante raue Atmosphäre“ bewahren. „Es gibt wenige solche Industriebrachen hier, Darmstadt ist ja überschaubar“, sagt Hünnekens, der seit zwei Jahren in Gesprächen mit der Projecta-GmbH ist. Wer dort zu welcher Miete fest oder auf Zeit einzieht, das liege aber nicht in städtischer Hand. „Wir können dafür werben, aber die Entscheidung trifft der Eigentümer“, sagte der Kulturreferent, der sich als Mediator für die Kunstszene versteht: „Ich nehme die Leute an die Hand.“
Zu teuer darf es natürlich nicht werden, denn in der freien Szene können sie sich nur moderate Mieten leisten. Vielleicht drei bis fünf Euro pro Quadratmeter. Aber auch nur, wenn die Flächen nicht zu groß sind. Da mag sich für Theaterquarantäne eine Chance eröffnen.
Für die Schattenvögel ist das Areal unweit ihres alten West Side Theatres wohl eher nicht geeignet, denn sie brauchen im Grunde einen klassischen Guckkasten mit 100 Plätzen, Probenraum, Lager und Werkstatt. Alles in allem 500 bis 600 Quadratmeter. Schwer zu finden, noch schwerer zu bezahlen. Dass es einmal geklappt hatte, war Glück. Guter Wille allein reicht wohl nicht.