Neue Mainzer Stadtschreiberin pocht bei Preisverleihung auf die Freiheit des Künstlers, widerspenstig zu sein
Von Gerd Blase
Eva Menasse und Museumsdrucker Wolfgang Neumann an der Presse im Gutenberg-Museum, vor der Preisverleihung.
(Foto: Lukas Görlach)
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MAINZ - Die Rolle der Mainzer Stadtschreiberin liegt ihr nicht. Eva Menasse möchte lieber Hofnärrin sein. „Mir gefällt diese Berufsbezeichnung besser“, meint die 48-Jährige. Der Hofnarr sei für seinen Herrscher Wahrsager, Quälgeist und Provokateur. Er habe sprichwörtlich Narrenfreiheit. „Das ist ein starker Auftrag.“ Der Künstler hingegen, so zumindest die zurzeit grassierende Meinung, sollte sich gefälligst benehmen.
Eben erst hat Menasse in einem feierlichen Akt die Stadtschreiber-Urkunde im Mainzer Rathaus entgegengenommen, da bügelt sie ihr Amt bereits gegen den Strich. Tatsächlich bestehe der Pakt zwischen Künstler und Gesellschaft darin, dass er von Künstlerseite permanent gebrochen werde. Künstler müssten widerspenstig sein, darin liege ihre Freiheit. „Für diese Freiheit verzichten wir auf Planbarkeit, auf Sicherheit, auf regelmäßiges Einkommen.“ Menasse will sich den Mainzern nicht untertänigst andienen: „Ich möchte Ihnen als Ihre neue Stadtschreiber-Hofnärrin die Wahrheit sagen: Das, was Sie uns geben, dient nur dazu, unsere Unabhängigkeit zu erhalten. Ich werde Ihre Wünsche nicht erfüllen.“
Als 35. Mainzer Stadtschreiberin reiht sich die gebürtige Wienerin in einen bunten Reigen kantiger Persönlichkeiten, die das Amt auf sehr unterschiedliche Weise ausfüllten – oder manchmal leider auch links liegen ließen, nachdem sie das Preisgeld von 12500 Euro entgegengenommen hatten. Zumeist lockte die von ZDF, 3sat und der Stadt gestiftete Auszeichnung hoch engagierte Autoren nach Mainz. Einige wenige gab es zwar, die nicht einmal die mit dem Preis verbundene Stadtschreiber-Wohnung unter dem Dach des Römischen Kaisers in Anspruch nahmen. Dafür schrieben andere dort wichtige Werke, wie etwa Ilija Trojanow, der sich 2007 mit „Kampfabsage“ gegen ein Erstarken rechter Parolen wandte. Mit ihm könnte sich Menasse gut verstehen, denn sie meldet sich ebenfalls gern gegen populistische Propaganda zu Wort.
WICHTIGE WERKE
„Vienna“ (2005): Das österreichisch-jüdische Familenepos war ihr literarischer Durchbruch.
„Lässliche Todsünden“ (2009)
„Quasikristalle“ (2013)
„Tiere für Fortgeschrittene“ (2017), ausgezeichnet mit dem Österreichischen Buchpreis.
Grosse: „Politisch denkende Frau, die klar Stellung bezieht“
Kulturdezernentin Marianne Grosse lobte sie denn auch in ihrer Begrüßungsrede „als eine sehr politisch denkende Frau, die klar Stellung bezieht“. Zugleich würdigte sie Menasses erzählerisches Werk: „Es ist faszinierend, wie Sie es fertig bringen, so zu verdichten und trotzdem das Leben so darzustellen, wie wir es erleben.“ Grosse wünscht sich einen regen Austausch mit der Autorin: „Legen Sie das Schutzblech der Mainzer Seele frei und zeigen Sie uns, was Sie dahinter entdecken.“
Ähnlich sieht das Oberbürgermeister Michael Ebling. Er freut sich über eine Stadtschreiberin, „die zu den herausragenden Schriftstellerinnen in Deutschland und Österreich gehört“, und er hofft auf ihren „anderen, freieren Blick“: „Damit werden Sie hoffentlich auch uns in diesem Jahr als Mainzer Stadtschreiberin begleiten. Wir sind jetzt schon darauf gespannt, welche Höhen und Tiefen Sie dabei entdecken werden.“