Darmstädter Gespräch: Deutschland hinkt bei der Digitalisierung hinterher
Von Susanne Döring
Digitalisierung und ihre Folgen: Thema des „Darmstädter Gesprächs“ am Sonntag in Darmstadt. Es diskutieren (von links) Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries, Jeanette Hofmann (Humboldt-Uni Berlin), Moderatorin Insa Wilke und Kristian Kersting (TU Darmstadt). Foto: Karl-Heinz Bärtl
( Foto: Karl-Heinz Bärtl)
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DARMSTADT - „Brauchen wir eine Charta für digitale Grundrechte?“ Die Frage im Titel des Darmstädter Gesprächs am Sonntag in den Kammerspielen des Staatstheaters schien rhetorisch. Denn seit 2016 wird von Bürgern aus unterschiedlichsten Gruppen und Berufen an einer solchen Charta für die EU gearbeitet. Vor allem in den ersten drei Artikeln lehnt sich ihr derzeit vorliegender Entwurf an das Grundgesetz an, definiert aber die Rechte im Bereich der Würde, der Freiheit und der Gleichheit unter dem Aspekt einer digitalisierten Welt neu.
Zypries und Kersting warnen vor Kulturpessimismus
Auch Jeanette Hofmann, Direktorin des Berliner Humboldt-Instituts für Internet und Gesellschaft, die bei diesem Darmstädter Gespräch mitdiskutierte, hat an dieser Charta mitgewirkt. Moderatorin Insa Wilke hatte neben Hofmann die geschäftsführende Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries sowie Kristian Kersting vom Fachbereich Informatik an der TU Darmstadt als Gesprächspartner. Alle drei konstatierten, dass es in der Gesellschaft großes Nichtwissen über Begriffe und Ziele der Digitalisierung gebe und dass Deutschland in Bezug auf Infrastruktur und Nutzung digitaler Möglichkeiten deutlich hinter den Vereinigten Staaten, Asien oder auch Skandinavien zurückliege. Dort sei zudem die Offenheit gegenüber der Digitalisierung größer als bei uns.
Einig waren sich die Gesprächsteilnehmer auch darin, dass zum Internet neben vielen Chancen auch Risiken gehören, wobei insbesondere Kersting und Zypries Kulturpessimismus deutlich ablehnten und die Vorteile des Netzes hervorhoben. Fasziniert ist Kersting von den Potenzialen in Verkehr und Medizin, weniger gefällt ihm die Art der Meinungsmache, die das Internet verbreite. Hofmann sieht eine „stark integrierende Wirkung des Internets“, das Wissen und Bezüge in bisher nicht gekanntem Maß verfügbar mache. Freilich habe man es in der digitalen Welt mit komplexen Systemen zu tun, die häufig mit zu einfachen Metaphern benannt würden, in denen sich nur ein Bruchteil möglicher Bedeutungen und Funktionen abbilde. Zypries hob auf das Beispiel der Bürgerbeteiligung in der Politik ab: Hier wirke das Internet ungemein mobilisierend.
„Bildung“ war auch in dieser Runde das Schlagwort der Stunde. Zypries gestand ein, dass die Politik in diesem Bereich viel zu spät reagiert habe und eine Initiative zur besseren Digitalbildung in Schulen unbedingt nötig sei. Intensiv mache man sich inzwischen Gedanken darüber, was und wie von der Politik reguliert werden müsse. Ein Ergebnis sei die Datenschutz-Grundverordnung der EU, die im Mai in Kraft tritt.
Hofmann kritisierte, es gebe in der neuen Koalition in Berlin jetzt zwar ein „Heimatministerium“, aber eben kein Ministerium für Digitales. In den bestehenden Ministerien fehlten dazu Prioritätensetzung und Austausch. Dabei setze sich die Digitalisierung in allen Bereichen durch: in der sozialen Infrastruktur, in der Wirtschaft, in Recht und Sicherheit, im Alltag und in der Bildung. Kersting sieht nicht nur die Politik, sondern die gesamte Gesellschaft in der Pflicht, ihre neue digitale Welt zu gestalten. Wichtig sei, dass nicht nur Unternehmen auf den Zug der Digitalisierung aufspringen und damit Fakten für alle schaffen.