ARD-Spielfilm „Das deutsche Kind“ stellt gängige Integrationsvorstellungen auf den Kopf
Von Viola Bolduan
Entgegen gängiger Integrationsklischees: Nach dem Unfalltod ihrer Mutter kümmern sich Sehra und Cem um die kleine Pia. Foto: ARD
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So tolerant, so behutsam und liebevoll sind angehende junge Imame? So brüsk, so bigott und rechthaberisch deutsche Großmütter? Im Modellfall des Fernsehfilms „Das deutsche Kind“ schon (Buch: Paul Salisbury/Regie: Umut Dag). Wenn hier Integration gegen die Norm und übliche Erwartung problematisiert werden soll, braucht’s offenbar einen sehr demonstrativen Zeigefinger. Gestritten wird um das Bleiberecht des kleinen Mädchens Pia nach dem Unfalltod seiner Mutter. Diese hatte ihre türkischen Freunde und Nachbarn, das Ehepaar Sehra und Cem Balta, als Vormund bestimmt – Oma Unger kämpft indes mit allen Mitteln, dass das Sorgerecht ihr überlassen werde. Ein deutsches Kind mit blonden Zöpfen in Obhut einer kopftuchtragenden Muslimin und eines dunkeläugigen Imam-Anwärters? Nie und nimmer. Umgekehrt ist’s freilich auch nicht einfach – „Ein Weihnachtsbaum kommt mir nicht in die Wohnung!“, meint Cem. Und es wird im Film auch kein salomonisches Urteil über das Wohl des Kindes gefällt.
Die pädagogische Weisheit liegt freilich zunächst beim Moslem, der in seiner Moschee auf Deutsch predigt und einen verzeihenden Gott vertritt, als Heimat der Seele den Sternenhimmel ausmacht, seiner Tochter also ein Teleskop schenkt und dem deutschen Kind Unterschiede der Gebetshaltung erklärt. Doch ehe die türkische Familie zur „deutschen Vorzeigefamilie“ werden kann, macht nicht nur die deutsche Großmutter Probleme. Als sie einen islamischen Info-Abend sprengt, gerät Cem auch mit seiner türkischen Umwelt in Konflikt und gibt auf. Die Presse spielt übrigens keine allzu ruhmreiche Rolle, als sie Cem als früheren Salafisten outet. Das ist natürlich alles ein bisschen viel – eine wahre Problemballung, in der nicht nur das Teleskop, sondern auch eine Moschee und die Familie kaputtgehen.
Ausgangslage und Finale unglaubwürdig
Problemlösung: Cem reagiert seine Stresshormone ab, indem er joggt; seine Frau Sehra hat Recht, indem sie intuitiv entscheidet und selbstbestimmt handelt; die deutsche Oma legt ein Geständnis ab. Und was macht indessen Pia, das deutsche Kind? Ohne einen Richter Salomon das einzig Richtige: Es läuft weg. Beim gemeinsamen Suchen und Wiederfinden wird man sich schon näher kommen bis zu einem Happy End aus dem Bilderbuch. So originell die Umkehrung des üblichen Integrationsvorgangs in diesem Film, so unglaubwürdig sind Ausgangslage und Schlussakkord. Das ist schade, denn eine Figur, wie die des modern aufgeschlossenen Moslems Cem, scheint dringend geboten in deutschen Filmen, um dumpfe Ängste zu nehmen. Ob aber zu viel Idealisierung, zu große Fallhöhe und eine zu liebliche Auflösung dabei helfen?