„Kunsthalle Mainz rückt mehr ins Zentrum“

Vom Schauraum des Turmgipfels blickt Stefanie Böttcher auf die emporwachsende neue Nachbarschaft im Zollhafen. Foto: hbz/Bahr
© hbz/Bahr

Leiterin Stefanie Böttcher im Interview über die anwachsende Zollhafenbebauung, ein Kooperationsprojekt mit Tanz Mainz und dem Erfolg der „Virtual Insanity“-Ausstellung.

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MAINZ. Vor zehn Jahren öffnete die Mainzer Kunsthalle im einstigen Kessel- und Maschinenhaus am Zollhafen. Seitdem rückt die Bebauung des neuen Stadtquartiers immer näher an das historische Gemäuer mit dem markanten, um sieben Grad geneigten Turm heran. Über die neue Nachbarschaft, aktuelle und künftige Projekte sprachen wir mit Stefanie Böttcher, die das Haus seit 2015 leitet.

Frau Böttcher, die Ausstellung „Virtual Insanity“ neigt sich dem Ende zu. Wie war die Resonanz?

Richtig gut. Es ist ja auch ein sehr relevantes Thema, das die Schattenseiten virtueller Welten aufgreift und besonders viele junge Leute interessiert. Vor Ausstellungsende am 18. November gibt es noch zwei Highlights. Zur Eröffnung des Vorlesetags liest die Mainzer Autorin Leonie Höckbert am 14. November aus ihrem mit dem Literaturförderpreis ausgezeichneten Theaterstück, bei dem es um die Abgründe der Chatforen geht. Von den Potenzialen und unerwünschten Nebenwirkungen der „Virtual Reality“ handelt ein prominent besetzter Vortragsabend am 17. November, den Anja Stöffler von der Hochschule Mainz und ich organisiert haben.

Wie viele Besucher hat die Kunsthalle im Jahr?

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So zwischen 9000 und 12 000. Das ist immer auch abhängig von Thema der Ausstellungen, dem Begleitprogramm oder besonderen Events, wie etwa der langen Nacht der Museen.

Der Zollhafen füllt sich mit Leben, die Bebauung schreitet voran. Welche Effekte hat das neue Stadtquartier auf die Kunsthalle?

Wir werden jetzt von viel mehr Nachbarn wahrgenommen als zuvor. Im Grunde passiert hier ja eine Ausweitung der Innenstadt. Viele Mainzer merken, dass die City nicht nur aus der Altstadt besteht und dass die Neustadt immer wichtiger wird. Dadurch rücken auch wir mehr ins Zentrum. Es wird bestimmt mehr Spontanbesuche geben. Aber auch die Zugezogenen müssen die Kunsthalle erst für sich entdecken. Das Haus gibt es jetzt zehn Jahre. Doch das bedeutet noch nicht viel. Es braucht Zeit, dieses Angebot im Bewusstsein der Mainzer zu verankern. Davon abgesehen halte ich nicht viel davon, immer nur auf die Besucherzahlen oder das mediale Echo, das im Übrigen bei uns in den letzten Jahren stark angestiegen ist, zu schielen. Ich finde, es geht vielmehr um die Qualität eines Besuchs, um die Verweildauer, um die Nachwirkung einer Ausstellung oder der Kunstvermittlung, die bei uns sehr gut angenommen wird. Wir werden zunehmend überregional wahrgenommen, haben es mit der aktuellen Schau sogar unter die zehn besten Ausstellungen im Herbst 2018 der „Vogue“ geschafft.

In der Stadt schließen die Galerien. Wie beurteilen Sie die Situation?

Die Schließung von Galerien ist dramatisch, betrifft aber leider viele deutsche Städte abseits der großen Galerie-Zentren wie Köln oder Berlin. In Mainz ist die Situation besonders, da jede Kunsteinrichtung ganz eigene Besucherkreise hat. Bei jeder Institution, die wegfällt, bricht also eine kleine Szene zusammen.

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Künstler aus der Region suchen dringend Ausstellungsräume. Anfangs konnten Stipendiaten des Künstlerhauses Balmoral in der Kunsthalle ausstellen. Warum gibt es dieses Angebot nicht mehr?

Im deutschsprachigen Raum sind Kunsthallen Orte für international renommierte Künstlerinnen und Künstler. In Mainz wollen wir in dieser Liga mitspielen und konkurrenzfähig zu den anderen Kunsthallen bleiben. Nicht der Geburts- oder Wohnort sollte das Kriterium sein, sondern die Güte der zeitgenössischen Kunst. Bettina Pousttchi ist ein Beispiel. Man kann sagen, sie ist eine regionale Künstlerin, weil sie aus Mainz kommt. Aber sie hat eine solch beeindruckende künstlerische Vita, dass es Sinn macht, sie hier auszustellen. Zusätzlich kooperieren wir aber mit vielen Mainzer Einrichtungen – so beispielsweise regelmäßig mit Kunsthochschule und Universität. Das befruchtet beide Seiten.

Zu den Kooperationen gehört auch ein spartenübergreifendes Projekt mit Tanzmainz und der Hochschule Mainz, das im März 2019 Premiere hat. Worum geht es bei „Between us“?

Es geht um die Frage, was mit Informationen geschieht, wenn sie durch verschiedene Kanäle laufen. Um ihre Veränderungen, ihr Eigenleben, wenn man sie in ein System einspeist. Wir testen das anhand einer Choreografie als Grundinformation, die von dem finnischen Choreografen Taneli Törma derzeit erarbeitet wird. Die Videoaufzeichnung dieser Choreografie wird dann durch Motion Bank – angesiedelt an der Hochschule Mainz – in Bewegungsdaten übertragen. Dieses Material und die Choreografie bildendie Basis für die Arbeiten ausgewählter bildender Künstler. Die Ergebnisse werden in der Kunsthalle Mainz im Rahmen einer Ausstellung, Aufführungen der Choreografie und dem zugänglich gemachten Datenmaterial zu sehen sein. Die Premiere und Eröffnung dieser sehr offen angelegten Symbiose aus Tanz, Kunst und Wissenschaft ist am 14. März.

Wer stellt als Nächstes aus?

Am 15. Dezember öffnen wir eine Einzelausstellung der italienischen Künstlerin Lara Favaretto, die bildhauerisch arbeitet, mit starkem Materialbezug. Viele ihrer Materialen und Werkstoffe finden sich auf der Baustelle vor der Kunsthalle wieder: Metallgerüste, Holzplatten, Maschinen. Die perfekte Umgebung für ihre Arbeiten.

Das Interview führte Michael Jacobs.