„Vom Targetrad zum Federkiel“ - Elf GSI-Physiker treffen auf Literaturgruppe Poseidon
Die Literaturgruppe Poseidon und Wissenschaftler der GSI-Schwerionenforschung arbeiten seit vier Jahren gemeinsam am Verständnis des jeweils anderen Fachgebiets. Entstanden ist ein Werk, das ein unterhaltsames Potpourri aus der Wissenschaft und der Kunst bildet.
Von Johannes Breckner
Leiter Kulturredaktion Darmstadt
Leben auf dem Luftballon: So illustriert Taisia Yu. Litvinova ein Gedankenmodell der Astrophysik. Foto: Verlag Justus von Liebig
( Foto: Verlag Justus von Liebig)
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DARMSTADT - Für viele Menschen wird das Rätselraten schon mit dem Titel beginnen. Ein Federkiel, na schön, damit hat man früher geschrieben. Aber was bitte ist ein Targetrad? Wer bei der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) mit dem Teilchenbeschleuniger zu tun hat, kann es erklären: Auf der Scheibe sind mehrere Targets, Ziele für den Ionenstrahl angeordnet. Während eines beschossen wird, kann das nächste abkühlen. Das war eine der einfachsten Lektionen für die Mitglieder der Literaturgruppe Poseidon. Die Wissenschaftler der GSI wiederum haben sich mit literarischen Strategien und Wortbildern beschäftigt – und alle waren begeistert von der gegenseitigen Bereicherung in der gemeinsamen Arbeit.
Vor über vier Jahren begann dieses ungewöhnliche Projekt, dessen Ergebnisse nun in dem schönen Buch „Vom Targetrad zum Federkiel“ ein sehr unterhaltsames Potpourri bilden. Dass Wissenschaftler und Schriftsteller zusammenkamen, hängt mit der Doppelbegabung von Eberhard Malwitz zusammen. Der war dreißig Jahre bei der GSI Leiter der zentralen Technik, aber immer auch künstlerisch tätig, mit Bildern und mit Worten. „Literatur ist ja auch eine Form von Bildermalen“, sagt er, „aber man malt sie im Kopf.“ Klar, dass Malwitz gut aufgehoben war in der Darmstädter Autorengruppe Poseidon, die seit 2005 Grenzüberschreitungen wagt, etwa mit Lesungen an ungewöhnlichen Orten. Irgendwann wollten die Autorenkollegen von Malwitz mehr über die GSI wissen. Der organisierte eine Führung, bei der die spektakuläre Technik demonstriert wurde. Aber wo waren die Menschen, die mit ihr arbeiten? Also wurde ein neuer Ausflug nach Wixhausen organisiert. Carola Pomplun, Physikerin und bei der GSI in der Öffentlichkeitsarbeit tätig, suchte Kollegen, die Interesse an einem Austausch hatten. Das erste Gespräch schon brachte die überraschende Erkenntnis der Nähe. Hier die rational bestimmten Naturwissenschaftler, da die fantasievoll fabulierenden Dichter? Von wegen. Wissenschaft, sagt Malwitz, hat sehr viel mit Kreativität zu tun. Die braucht man, um Problemlösungen zu finden.
Beide Welten sollten in einem Buch miteinander in Beziehung gesetzt werden. Dafür bildeten sich kleine Teams, mal Zweier-, mal Dreiergruppen. Sie wählten jeweils eine eigene Herangehensweise. Das macht den nun erschienenen Band zu einer Wundertüte der Gedanken und Darstellungsformen. Und wenn auch technische Sachverhalte erläutert werden, ist der Band etwas ganz anderes als Physik-Nachhilfe für Dichter. Im Vordergrund steht das spielerische Element. „Das berührt auch Ironie und Satire“, sagt Mitherausgeber Paul-Hermann Gruner, „man hält die Form ein, spielt aber mit dem Inhalt.“ Gruner wählte das Zwiegespräch, in dem der Forscher Sascha Vogel nicht nur Fermionen und Bosonen erläutert, sondern auch auf den gesellschaftlichen Nutzen der Literatur zu sprechen kommt.
BUCH UND LESUNG
Paul-Hermann Gruner, Eberhard Malwitz, Carola Pomplun (Herausgeber): „Vom Targetrad zum Federkiel.“ Elf Physiker der GSI treffen auf neun Autoren der Literaturgruppe Poseidon. Verlag Justus von Liebig in Darmstadt, 160 Seiten, viele Abbildungen, 28,90 Euro. Buchvorstellung mit Lesung am Mittwoch, 15. November, um 19.30 Uhr im Theater im Pädagog in Darmstadt, Pädagogstraße 5. Eine weitere Lesung steht im Mittelpunkt der Reihe „Wissenschaft für alle“ bei der GSI in Wixhausen, Beginn am 7. Dezember um 14 Uhr. (job)
Rainer Haseitl gelingt die sehr pointierte Erläuterung zweier Experimente, worauf Alex Dreppec mit Gedichten reagiert, die mit den Zeilen beginnen: „Ein kleiner Knall, ein leiser Teilchenschauer / Dann Arbeit für den Teilchenleichenbeschauer.“ Barbara Zeizinger hat Gedichte über das Universum, Planeten und die Suche nach dem Ursprung geschrieben, Yuri Litvinov und der 2016 verstorbene Fritz Bosch haben die lyrischen Gedanken mit physikalischen Erläuterungen angereichert. Besonders schön: Litvinovs Tochter Taisia hat Bilder dazu gemalt, die das Thema wieder in die poetische Welt überführen. Fritz Deppert und Sigurd Hoffmann haben gemeinsam eine Krimi-Kurzgeschichte geschrieben, Barbara Höhfeld, Hans Geissel und Hartmut Eickhoff gehen aus von den Schöpfungsfenstern in der Kirche von Wixhausen, um zur Geschichte der GSI und den Anwendungen der Schwerionenforschung zu gelangen, etwa in der Krebstherapie.
Nur Eberhard Malwitz hat kein Team gebildet. Oder vielleicht doch, „mein Partner ist der Malwitz von früher“. In seinem Essay führt er einen Dialog mit seinen Erinnerungen und stellt Überlegungen über Wissenschaft und Kunst an. „Beide“, schreibt er, „werden von einer Leidenschaft getrieben, jederzeit bereit, ihre Sicht der Dinge gegen den Rest der Welt zu verteidigen.“