Hippies unter der Glaskuppel

Nicht älter, nur reifer: T.C. Boyle in Heidelberg.Foto: Sarina Chamatova/DAI   Foto: Sarina Chamatova/DAI

Einmal sind sie sich tatsächlich über den Weg gelaufen: der hochgewachsene Schriftsteller und der rotblonde Millionär. Anfang der 1990er, bei einer Buchmesse, irgendwo in den...

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HEIDELBERG. Einmal sind sie sich tatsächlich über den Weg gelaufen: der hochgewachsene Schriftsteller und der rotblonde Millionär. Anfang der 1990er, bei einer Buchmesse, irgendwo in den USA. „Sprechen wir nicht über diesen bösen Namen. Lasst uns lieber über die schönen Dinge reden. Über Sex, Drogen und Alkohol“, schmettert der amerikanische Bestsellerautor T.C. Boyle bei seiner Lesung in Heidelberg „das“ mögliche Gesprächsthema gleich zu Beginn ab. Und doch wird er auch am Samstagabend in der ausverkauften Halle 02 ausgesprochen – der Name des Millionärs: Donald Trump.

Während dieser knapp ein Vierteljahrhundert später als US-Präsident das Land der unbegrenzten Möglichkeiten durch hastige Einreisestopps und gigantische Mauerbauten vom Rest der Welt abschotten will, sieht sich Kultschreiber Boyle in seinem neuesten Roman bereits nach möglichen Zufluchtsorten um. In „Die Terranauten“ lässt er acht Protagonisten, vier Frauen und vier Männer, eine riesige Glaskuppel betreten. Hermetisch abgeriegelt von der Außenwelt werden sie Teil eines Natur-Experiments, das es im US-Bundesstaat Arizona wirklich einmal gab. 1991 wurde dort die sogenannte Biosphere 2 errichtet. Ein in sich geschlossenes, autarkes Ökosystem, eine Welt en miniature, mit Savanne, Regenwald und Ozean, in welchem sich die Versuchsmenschen selbst versorgen mussten. Könnte dank eines solchen Megaterrariums ein Leben auf dem Mars möglich sein? Die Simulation zumindest scheiterte, schon auf der Erde.

Utopie, Mensch versus Natur, ein Leben am Rande der Gesellschaft: Gründe genug für den Romancier, diese Welt hinter Glas literarisch weiterzuspinnen. Und Boyle wäre nicht Boyle, würde er nicht ähnlich wie bei seinen anderen Ökodramen „Wenn das Schlachten vorbei ist“ oder „Ein Freund der Erde“ seine Protagonisten in der isolierten Evolutionskammer mit ihren Zurück-zur-Natur-Illusionen konfrontieren und wie ein zynischer Gott ein wenig leiden lassen. Auch die Terranauten müssen erkennen, dass ihr Refugium nicht nur aus Bananenwein und wildem Sex besteht, sondern der Garten Eden 2.0 zur Hölle mutieren kann. „Es ist ein bisschen wie Drop City – nur unter Glas“, vergleicht der Autor sein jüngstes Werk mit seinem Meisterstück über eine am Ende desillusionierte Hippiekommune.

Und Boyle selbst? Der scheint auch mit seinen 69 Jahren nicht älter, sondern nur immer reifer zu werden. Rote Chucks, lange dürre Beinchen, schwarzes Sakko, hinter dem ein Hemd mit Schlangenmuster hervorblitzt. Truckerbart und krauses Strähnchen: Tom Coraghessan Boyle hält sein Image als ewiger Teenager und Punk der Literaturszene aufrecht. Wie ein Beat-Poet swingt er beim Singsang seiner Lesung mit den Fingern mit. „Jeder Geist baut sich ein Haus – und dahinter eine Welt”, philosophiert der Autor. Erkenntnis: Der Traum einer perfekten Welt mag stets zum Scheitern verurteilt zu sein. Kaum einer aber erzählt so erfrischend und erhellend darüber wie der schlaksige Hippie, wie T.C. Boyle.