Von Jürgen FlatkenWie konnte es passieren, dass die japanischen Topmodells ihrer deutschen Konkurrenz den Rang ablaufen? Am Aussehen liegt es nicht. Schließlich sehen die Gäste aus Fernost nicht wirklich besser aus. Und dennoch: Die Wagyu-Rinder sind die neuen Stars der deutschen Rinderszene. Ihr Fleisch ist gefragt – und das teuerste der Welt. Ein Kilo kostet bis zu 500 Euro. Auch deswegen holen sich immer mehr Landwirte diese Exoten auf ihren Hof.
Die Rasse der Wagyus ist eher bekannt unter dem Namen „Kobe-Rind“. Aber wie auch nur Sekt aus der Champagne Champagner heißen darf, tragen nur Tiere aus der Region um Kobe eben jenen bekannten Marken-Namen. In Deutschland sind inzwischen 140 Züchter und Halter im Wagyu-Verband organisiert. Reinhard Holtmann aus der Nähe von Münster in Westfalen ist ein Züchter der ersten Stunde.
„Wir wollten am Haus etwas Besonderes rumlaufen haben, kein 0815-Vieh“, erzählt der gelernte Landwirt. „2008 lag ich auf der Couch und habe in einer Doku über das arabische Luxushotel Burj al Arab gesehen, dass dort Wagyu-Rind auf der Speisekarte steht.“ Sein Interesse war geweckt. Und kein Jahr später importierte er zehn Wagyu-Embryonen aus den USA, „für 1500 Euro das Stück. Und nur zwei sind angewachsen“, erzählt er weiter. „Aber seitdem bin ich vom Wagyu-Virus befallen.“
In Japan werden sie angeblich täglich massiert
Um kein anderes Rind ranken sich so viele Mythen und Geheimnisse. In Japan werden sie angeblich täglich massiert, bekommen Reiswein zu trinken und werden mit Musik beschallt. „Das mag früher so gewesen sein“, erklärt Steffen Maak, der Leiter des Instituts für Muskelbiologie und Wachstum am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie in Dummerstorf bei Rostock. „Die Rinder waren teuer, die Weidefläche knapp. So wurden die Rinder wie Familienmitglieder behandelt und im Haus oder Stall gehalten“, berichtet er von den Anfängen. „Massagen und Musik sind heute aber auch in Japan nur noch ein Marketing-Gag.“ Dafür dürften Wagyus doppelt so lange leben wie europäische Fleischrinder, nämlich drei Jahre. Dann seien sie schlachtreif. Und 10 000 Euro wert – je nach Fleischqualität vier- bis sechsmal so viel wie die deutschen Holsteiner.
Was haben die japanischen Rinder also, was die einheimischen nicht haben? Einen Teil der Antwort kennt Maak. „In den Muskeln der Tiere befindet sich deutlich mehr Fett.“ Während die europäischen Rinderrassen nur noch fünf Prozent Fettanteil besitzen – das Ergebnis jahrzehntelanger Züchtung – bringen es die Wagyus auf bis zu 30 Prozent. „Die Rasse ist noch sehr ursprünglich. Und Fett ist ja bekanntlich Geschmacksträger und ausschlaggebend für die gute Fleisch-Qualität.“ Es gilt: je mehr Fett in den Muskeln, desto zarter ist das Fleisch. Beim Wagyu sind die Fetteinlagerungen mit bloßem Auge zu erkennen. „Es ist marmoriert“, heißt es im Fachjargon. Das mache das Fleisch einzigartig. Und zu einem wahren Gourmet-Erlebnis.
Und hätte es Townsend Harris nicht gegeben, hätte die Welt, hätten die Japaner selbst nie etwas von der lukullischen Köstlichkeit vor ihrer Haustür erfahren. Denn der erste amerikanische Generalkonsul in Japan hatte im Jahr 1856 genug von Reis und Gemüse. Er sehnte sich nach einem saftigen Rindersteak. Und so befahl er seinen entsetzten japanischen Dienern, den nächsten Ochsen, den sie sähen, zu schlachten. Bis dahin kannten Japaner Rinder nur als Arbeitstiere. Diese erste Schlachtung war – geschmacklich gesehen – eine historische Großtat. Der Siegeszug durch die Gourmetküchen der Welt begann. „Aber jetzt davon zu sprechen, dass das Wagyu seinen Eroberungszug auch durch die deutschen Städte antritt… davon sind wir noch weit entfernt“, dämpft Institutsleiter Maak die Euphorie. „Schließlich reden wir von einigen 100 Wagyu-Rindern. Denen stehen 3,6 Millionen geschlachtete deutsche Rinder pro Jahr gegenüber.“
1500 Wagyu-Rinder gibt es in Deutschland, deren 140 Besitzer im Wagyu-Verband organisiert sind. „80 Prozent sind keine Landwirte, sondern Hobby-Züchter“, erklärt Holtmann, der selbst im Beirat des Verbands sitzt. Multimillionäre seien dabei, die ihr Geld als Softwarehersteller oder Brauer verdienen und Wagyus als Statussymbol hielten. „Die können es sich erlauben, 100 000 Euro in den Sand zu setzen. Ich kann das nicht“, ergänzt er lachend. In Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg seien die meisten Züchter zu finden.
Bei den Wagyus geht es nicht um die Menge
„Eigentlich ist es ja ein ganz normales Rind mit vier Beinen und vier Mägen. Aber sie haben einen tollen Charakter und sind sehr zutraulich“, erklärt Holtmann seine Begeisterung für das Rind aus Übersee. Aus einem Hobby wurde ein Betriebszweig, „der mittlerweile 40 Prozent der Einnahmen erwirtschaftet“, fährt er fort. Was als Einkommensalternative gedacht war, entpuppt sich als zündende Idee. Und die kam für den 43-Jährigen genau zur rechten Zeit.
Er wollte nicht mehr um jeden Preis Fleisch produzieren und den Massenmarkt bedienen. Zwar hält er noch 1000 Schweine und 100 Mastbullen, die im Kühlregal der Supermärkte landen, aber eben auch 120 Wagyu-Rinder. „Bei den Wagyus geht es nicht um die Menge, sondern darum, Topqualität zu erzeugen, für Kunden, die das besondere Geschmackserlebnis suchen“. Der Zeitgeist gibt ihm recht: Regionalität ist das neue Bio. Holtmann kommt mit seinen Wagyus einem veränderten Ernährungsbewusstsein entgegen, bei dem es darum geht, gesünder und bewusster zu essen, zu genießen. „Es trifft einen Nerv in der Bevölkerung, die durch Fleischskandale und grausame Bilder aus Mastbetrieben verunsichert ist“, ergänzt Maak.
Das hat seinen Preis. So kann man für einen Sonntagsbraten auch schon mal bis zu 2000 Euro auf den Tisch legen. Bei Holtmann wird aber auch der kleinere Geldbeutel fündig. So kostet ein Pfund Hackfleisch zehn Euro, ein Kilo Wagyu-Filet 250 Euro. „Dieses Fleisch wird nie ein Massenprodukt werden“, weiß auch der Landwirt, „sondern ein Nischenprodukt bleiben.“ Allein wegen des Preises. „Es ist halt kein Lebensmittel für jeden Tag.“ Der Verkauf läuft vor allem über Direktvermarktung und die ortsansässige Gastronomie. Auch Burgerläden sind auf das Fleisch aufmerksam geworden.
Allerdings sei die Wagyu-Zucht keine Alternative für eine flächendeckende Fleischerzeugung der Zukunft. „Um marmoriertes, mit Fett angereichertes Fleisch zu erhalten, muss man viel Energie in die Tiere stecken. Das ist für einen Massenbetrieb nicht rentabel.“
Allein in den letzten sechs Monaten vor der Schlachtung werden die Rinder mit ordentlich viel Kraftfutter auf der Basis von gemahlenem Mais und Getreide gefüttert und nehmen dabei kräftig zu. Holtmann gibt noch Biertreber von der ortsansässigen Brauerei dazu, „wegen des Vitamins B12 – und der beruhigenden Wirkung“, ergänzt er. Holsteinische Fleischkühe legen bei gleicher Fütterung auch zu, aber das Fett lagert sich an anderen Stellen an. Während die Wagyus ihr Fett vor allem in den Muskeln einlagern, packen die Holsteiner das Fett hauptsächlich unter die Haut und um die inneren Organe. Da sind sie dem Menschen sehr ähnlich.
In ihrem Muskelfett steckt sehr viel Ölsäure
Und auf einen weiteren Unterschied ist das Team um Nutztierbiologe Maak gestoßen, der den zarten Charakter des Fleisches ausmacht: „In ihrem Muskelfett steckt sehr viel Ölsäure – eine einfache, ungesättigte Fettsäure, die auch in Olivenöl, Nüssen und Avocados vorkommt“, erklärt Maak. „Das macht das Fleisch nicht nur schmackhafter und zarter, sondern auch gesünder als das Fleisch einheimischer Rinder.“
„Man sieht, riecht und schmeckt den Unterschied“, ist Holtmann begeistert. Wie Wildbret hat auch das Wagyu einen gewissen Eigengeschmack: Es schmeckt buttrig und nussig. Daher kommt an sein medium gebratenes Steak auch nur Salz und Pfeffer. „Kein Ketchup, keine Soße, obwohl ich großer Ketchup-Fan bin. Das Fleisch steht im Mittelpunkt“, sagt er.
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