Von Torben SchröderWORMS - Es ist noch nicht lange her, da war das Smartphone eine Skurrilität. Ein „schlaues“ Telefon, das zugleich ein Mini-Computer ist, mit offenkundig hohem Suchtfaktor – wer hätte um die Jahrtausendwende mit so etwas gerechnet? Im Jahr 2007 beschied Microsoft-Chef Steve Ballmer dem iPhone keine allzu erfolgreiche Zukunft – und reihte sich damit ein in eine lange Liste prominenter Fehl-Prognosen. IBM-Chef Thomas Watson hatte in den 1940ern einen Weltmarkt für allenfalls fünf Computer prognostiziert. Das Internet wird kein Massenmedium, orakelte Matthias Horx noch 2001, und der Mann ist als „Zukunftsforscher“ bekannt. Auch was das Thema „Smart Home“ angeht, mangelt es nicht an Skeptikern. Der Grund: Es fehlen einheitliche Lösungen, es gibt keinen umfassenden Standard. „Das Problem wird sich in zwei Jahren erledigt haben“, ist Ulrike Knies allerdings überzeugt.
Die Wormser Unternehmerin ist keine Skeptikerin. Sie erlebt den technologischen Wandel hautnah, als Geschäftsführerin des 70-Mitarbeiter-Betriebs Elektro Knies. „50 Prozent von dem, was früher an Lerninhalt da war, ist noch übrig“, sagt die 45-Jährige, „Strippen ziehen und Schaltschränke wird es immer brauchen, aber es geht mehr und mehr Richtung Digitalisierung.“ Und „Smart Home“, das per Computertechnologie vernetzte Zuhause, ist das nächste große Ding im Privatkundenmarkt. So sagt man schon länger, und so wird es kommen, da ist sich die Wormserin sicher. Knies’ GmbH ist auf die Haus-Automatisierung spezialisiert. Auf Fachmessen beschäftige sich jeder zweite Stand mit dem Thema. „Die ‚Smartifizierung des Alltags‘ schreitet schnell voran“, hält Anja Obermann, Hauptgeschäftsführerin der Handwerkskammer Rheinhessen, fest. „Die elektrohandwerklichen Fachbetriebe füllen Schlagworte wie Smart Home, Smart Building und Smart Living mit Leben.“
„Das dominierende Thema im E-Handwerk ist die Digitalisierung“, betont Obermann: „Diese verändert sowohl die Produkte als auch die Zusammenarbeit mit Zulieferern und Kunden. Digitale Kompetenzen dominieren daher auch die Entwicklung im Bereich der Aus- und Weiterbildung.“ Eigentlich sollte das den Beruf des Elektronikers attraktiv machen. Eigentlich. „Seit fünf, sechs Jahren ist es viel schwieriger als früher, Nachwuchs zu finden“, sagt Ulrike Knies. 15 ihrer 70 Mitarbeiter sind Elektroniker-Azubis. Wer den Abschluss schafft und keine goldenen Löffel klaut, bekommt eine Übernahmegarantie. „Wenn wir nicht selbst ausbilden, bekommen wir keine Fachkräfte“, hält die Unternehmerin fest, „das ist ein Riesen-Problem.“
Ulrike Knies kam auf dem zweiten Bildungsweg an die Spitze des Unternehmens, das ihr Vater Jörg Knies vor bald 50 Jahren von Großvater Philipp Knies übernahm – mit nur drei Mitarbeitern. Realschulabschluss, Lehre, Fachabitur, Marketingstudium, Weiterbildungen, mit Ende 20 trat die Unternehmertochter in den Betrieb ein. Die erste Talsohle ließ nicht lange auf sich warten. Finanz- und Wirtschaftskrise, Dumpingpreise der Konkurrenten „von Gott weiß woher“. Elektro Knies setzte auf Spezialisierung, auf den Bereich Klimatechnik. Das Wachstum voriges Jahr lag bei zehn Prozent. Die Auftragslage seitens der Industrie entwickelt sich besonders gut. Und der Bereich „Smart Home“. „Wenn man sich als Elektroniker spezialisiert, kann man sich unabkömmlich machen“, sagt Ulrike Knies, „aber das verstehen die meisten, die lieber ein Studium anfangen, nicht.“
Die Zahl der Elektroniker-Azubis in Rheinhessen pendelte sich in den vergangenen zehn Jahren auf einem recht konstanten Level ein. 307 Lehrlinge haben 2017 auf einen Abschluss in der Fachrichtung Energie und Gebäudetechnik hingearbeitet (2007: 316), fünf (einer) im Bereich Automatisierungstechnik, 37 (42) im Bereich Informations- und Telekommunikationstechnik, ein (zwei) angehende Systemelektroniker, neun (sieben) Elektroniker für Maschinen- und Antriebstechnik sowie 18 (20) Informationselektroniker-Azubis hat die Handwerkskammer Rheinhessen vermerkt. Doch der Bedarf steigt. Im vergangenen Jahr wurden 138 neue Lehrverträge im Elektroniker-Handwerk geschlossen, in den vorigen Jahren lag der Schnitt knapp über 100. „Wir gucken uns alles an, was sich bewirbt“, sagt Knies. An der Quantität fehle es nicht, wohl aber allzu oft an den Voraussetzungen. Immer häufiger fallen ihr gravierende Mängel in der Allgemeinbildung auf.
Um an mehr gute Bewerber zu kommen, legt ihr Betrieb sich mächtig ins Zeug. Ein Mitarbeiter ist ausschließlich für die Lehrlingsbetreuung zuständig, nach der Berufsschule in Worms kommen die Azubis oft noch für eineinhalb Stunden in die nachschulische Betreuung. „Die meisten verziehen erstmal das Gesicht“, sagt Knies, „aber wenn der Lernstoff aufgefrischt, die Hausaufgaben gemacht und die Berichte geschrieben sind, haben sie das Wochenende frei.“ In einer eigens eingerichteten Lehrwerkstatt steht alles an Werkzeugen und Prüfgeräten bereit, was für die Praxis notwendig ist. Der laut Kammer-Zertifikat „Ausgezeichnete Ausbildungsbetrieb“ investiert kontinuierlich Zeit und Mittel in die Zukunft der eigenen Mitarbeiter – es geht kaum noch anders. „Irgendwann werden die Studenten drei Monate auf ihren 70-jährigen Handwerker warten“, übt sich Knies in schwarzem Humor. Dann wird wohl auch dem Letzten auffallen, was im Handwerk seit längerem beklagt wird.
Rund 20 Prozent der Arbeit des Wormser Elektroinstallationsspezialisten ist der Kundenservice. „Die Kunden erwarten zunehmend das Eingehen auf individuelle Wünsche“, berichtet Obermann, „für die Betriebe steht also auch die perfekte Dienstleistung und das Gestalten maßgeschneiderter Lösungen im Vordergrund.“ Individuelle Lösungen sind im Bereich „Smart Home“ allemal gefragt. Dass Elektro Knies auch hier zum Spezialisten wurde, ließ sich kaum vermeiden. „Die Nachfrage war da, wir mussten aufspringen. Sonst rennen einem die Kunden weg“, sagt die Geschäftsführerin. „Der Markt ist noch relativ undurchsichtig.“ Viele Hersteller, recht wenig Kompatibilität. „Aber es wird für den Endkunden immer einfacher. In den nächsten zwei Jahren wird es mit Sicherheit Standards geben.“ Und dann dürfte auch das vernetzte Haus keine Skurrilität mehr sein.
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