Von Anna-Lena StauderDOLGESHEIM - Fotos und Danksagungskarten hütet Tina Forstmann wie einen Schatz. In ihrem Arbeitszimmer hängen die Wände voll mit Bildern glücklicher Brautpaare. „Das sind so etwa ein Drittel der Paare, die ich getraut habe“, sagt die 30-Jährige. Ein Strahlen breitet sich auf ihrem Gesicht aus. Die Namen ihrer Kunden kennt sie aus dem Effeff und blickt sie auf die Fotos, sprudeln sofort Erinnerungen aus ihr heraus. Und dabei kommen ihr nicht nur besondere Locations wie in Holland am Meer, mitten im Weinberg oder auf einer Bergalm am Chiemsee in den Sinn, sondern auch Trauungen zu besonderen Uhrzeiten. So hat sie einmal eine Zeremonie für ein Paar, das sich in der Diskothek kennenlernte, am späten Abend vorbereitet.
Mehr als 100 Zeremonien hat die Dolgesheimerin bisher organisiert. Und das bedeutet auch, sie hat über 100 Reden geschrieben. In der Regel benötigt sie 15 bis 25 DIN-A4-Seiten, die sie am Computer tippt, um die persönliche Geschichte des Brautpaares zu erzählen.
Seit 2014 arbeitet Forstmann hauptberuflich als Traurednerin. Nach ihrem Studium der Sprachwissenschaften und evangelischen Theologie in Dresden kehrt sie mit ihrem Mann, einem gebürtigen Dresdner, ins rheinhessische Dolgesheim in ihr Elternhaus zurück und macht sich selbstständig. Wenige Monate zuvor hat sie selbst geheiratet. Sie und ihr Ehemann Stephan hatten dafür einen freien Theologen engagiert und waren davon begeistert. Das Gefühl dafür, dass auch sie diesem Beruf nachgehen könnte, verstärkt sich immer mehr.
Ihr Mann Stephan ist Fotograf und erstellt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eine Homepage für sie. Nur zwei Tage später bekommt Forstmann ihre erste Anfrage. „Das war der absolute Wahnsinn, nach meiner ersten Trauung war ich dann vollgepumpt mit Adrenalin. Ich wusste, ich habe meine Berufung gefunden und mache nie wieder etwas anderes“, erzählt die 30-Jährige.
Weil das Standesamt vielen zu unpersönlich ist, sie nicht in der Kirche heiraten möchten oder schon einmal verheiratet waren, entscheiden sich Paare für eine freie Trauung, die bei vielen dann auch im Freien stattfindet. Das ist bei Standesämtern nur eingeschränkt möglich. „Bei den freien Trauungen steht nicht die Bürokratie und auch nicht die Religion im Vordergrund, sondern das Paar und seine Liebe“, erklärt Forstmann. Um den Besuch beim Standesamt kommen Paare allerdings nicht herum. Denn rechtsverbindlich ist die Zeremonie von Forstmann nicht.
Um alle Wünsche der Paare zu berücksichtigen, dafür investiert Forstmann 25 bis 30 Arbeitsstunden pro Paar. Die Trauungen selbst dauern im Schnitt 45 Minuten. In einem ersten Kennenlerngespräch wird geschaut, ob die Chemie stimmt. Das Vorbereitungsgespräch, das mehrere Stunden dauern kann, findet dann drei bis vier Monate vor der Hochzeit statt. „Da versuch ich dann zwischen den Zeilen zu lesen und auch auf die Pausen und das Ungesagte zu achten. Das sagt nämlich auch viel aus.“ Zum Abschluss des Treffens gibt sie den Paaren dann noch Fragebögen mit, die die Paare einzeln beantworten sollen.
Die junge Frau will den Paaren etwas mitgeben, was sie auch im Alltag begleitet und an ihren Hochzeitstag erinnert. Dafür tüftelt sie an Ritualen, die auf das Brautpaar zugeschnitten sind. Forstmann erzählt von einem Paar, das gerne kocht und reist und deswegen während der Trauung eine persönliche Gewürzmischung kreiert, die auch die Gäste als Geschenk mit nach Hause bekommen und die im Hauptgang des Hochzeitsmenüs verwendet wird.
Rituale wie diese denkt sie sich auch für „Willkommensfeiern“ für Neugeborene, das Pendant zur kirchlichen Taufe, aus. Oft seien es Paare, die sie getraut hat, die sich für ihr Kind eine besondere Feier wünschen. „Es ist toll, ich lerne unterschiedliche Leute kennen, kann immer wieder ein neues Buch aufschlagen und es durchs Schreiben mit Leben füllen“, erklärt Forstmann ihre Leidenschaft, die sie mit ihrem Ehemann teilt. Oft werden sie im Doppelpack gebucht, sie hält die Traurede und er fotografiert.
Tina Forstmann kontaktiert außerdem, wenn gewünscht, Musiker und trifft sich mit dem künftigen Paar an seiner Location, um sich einen Eindruck von der Atmosphäre dort zu machen. Auf ihrer Homepage veröffentlicht sie Hochzeitsreportagen und gibt Tipps. Mit zwei Berufskolleginnen produziert sie außerdem Podcasts zum Thema. Sie erzählen darin beispielsweise von lustigen Pannen. Ob vergessene Ringe oder defekte Musikanlage, Forstmann hat schon einige Missgeschicke erlebt. Auch ihre Hochzeit war nicht perfekt. „Am Ende des Tages ist man mit einem Menschen verheiratet, den man liebt, alles andere ist zweitrangig“, betont Forstmann und blickt auf die Fotos ihrer Brautpaare.
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