Von David SchöneALZEY - Die Kirche ist nicht groß. Durch die Fenster lässt sich die Umgebung eines kongolesischen Dorfes erkennen. Gegenüber steht ein Mann. Er erklärt den Ernst der Lage im Land und blickt sich sekündlich um. Schweiß läuft seine Stirn herunter. Plötzlich geht alles ganz schnell. Schüsse aus allen Richtungen, schreiende Frauen und Kinder, klirrende Fensterscheiben. Und da kommen sie. Vermummte Menschen auf Jeeps erobern die Stadt, sie schießen auf alles und jeden. Spätestens jetzt wird klar: Es ist Zeit zu fliehen.
Dies geschieht nicht etwa mitten im Kongo, sondern in einem 17 Meter langen Truck mitten in Alzey. Die Schüler des Elisabeth-Langgässer Gymnasiums sollen in dem Missio-Truck, der von Montag bis Mittwoch auf dem Schulhof parkt, mithilfe einer multimedialen Ausstellung nicht nur über die Situation im Kongo aufgeklärt werden, sondern anhand eines Rollenspiels auch die Situation von Flüchtenden nachempfinden können. Wer den Truck betritt, sucht sich einen aus acht Charakteren aus. Dann erhält der Teilnehmer die Rollenkarte mit den Informationen zu der Person, die er von nun an in der Simulation verkörpert, sowie einen scannbaren Code. Dann geht es einen Raum weiter in besagte Kirche. Bildschirme an den Wänden simulieren die Situation.
Eine Situation, die mitKongo, Krieg und Handy zu tun haben. Drei Begriffe, die keine Verbindung zu haben scheinen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. 2,8 Millionen Menschen haben den Osten des Landes aufgrund der entstandenen Bürgerkriege schon verlassen müssen und wurden zu Flüchtenden. Die Ursache dafür tragen fast alle Menschen täglich in ihrer Hosentasche: das Handy. Coltan ist ein Erz, das für die Herstellung von Mobiltelefonen unabdingbar ist. Gewonnen wird es in Minen in Afrika, ein Großteil davon befindet sich im Osten des Kongos. Da der Handymarkt boomt, steigt auch die Anfrage nach Coltan. Daraus resultiert, dass der Verkauf des Rohstoffs für die Minenbesitzer viel Geld bringt. Geld, das viele in der Region benötigen. Neid und Missgunst sind die Folgen. Es gibt Kämpfe um die Minen. Täglich flüchten weitere Menschen.
Die Kirche verlassen, wählt der Rollenspieler nun aus, was er zur Flucht benötigt. Die Rollenkarte kurz an einen Scanner halten und schon erscheinen Objekte auf einem Bildschirm. Nur ein Gegenstand kann mitgenommen werden. Direkt nach der Auswahl erscheint eine Erklärung, wie sinnvoll die Entscheidung war. Über einen kleinen engen Raum, in dem die Fahrt im Frachtraum eines Lasters simuliert wird, bis hin zu den Startschwierigkeiten am Zufluchtsort – in insgesamt sechs Räumen können Besucher des Trucks die Flucht einer Person aus dem Osten Kongos durchleben und müssen dabei immer wieder eigene Entscheidungen treffen.
Herbert Cambeis, Lehrer am ELG, hat sich dafür eingesetzt, den Truck nach Alzey zu holen. „Wir wollen mit der Aktion das Bewusstsein für die Wirklichkeit unserer Welt stärken“, erklärt Schulleiter Gerhard Hoffmann. Der 18-Tonner ist im gesamten deutschsprachigen Raum unterwegs. An Schulen, aber auch an Pfarrfesten oder Marktplätzen ist Pia Strunk gemeinsam mit Katharina Ruge, Joshua Krüger und Christian Ndala unterwegs und erklärt die Aktion „Schutzengel“ und deren Projekte.
So hat „Schutzengel“ im Kongo 16 Traumazentren für Flüchtende errichtet. Und auch im gesamten afrikanischen und asiatischen Bereich sowie in Ozeanien ist die Aktion aktiv. Wichtig sei, dass das Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ dabei zur Geltung komme, erklärt Katharina Ruge. Joshua Krüger erhofft sich, dass so jedem einzelnen vermittelt wird, dass „sein eigenes Handeln damit zu tun haben kann, wie es Menschen in anderen Ländern ergeht“. So geben die Mitarbeiter des Trucks den Schülern auch Tipps, wie man die Situation im Kongo verbessern kann. Es sei sinnvoll, Handys zu recyceln, um das Coltan daraus wiederzuverwenden oder ein „Fairphone“ zu kaufen, das den Rohstoff aus zertifizierten Minen erhalte, erklärt Pia Strunk. Und wer weiß, vielleicht gibt es jetzt mehr Menschen, die Kongo, Krieg und Handy in Verbindung setzen.
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